»Romeo, hör mir mal zu«, sagte Schofield rasch. »Die ICG hat Männer in meine Einheit eingeschleust. Einer meiner eigenen Männer hat damit angefangen, meine Verwundeten umzubringen. Dieses SEAL-Team, das sie schicken, wird hier eindringen und mich töten. Du musst etwas unternehmen.«
Schofield spürte, wie es ihm kalt den Rücken hinunterlief, als ihm aufging, dass er genau dasselbe zu Romeo sagte, was Andrew Trent zu ihm aus diesem Tempel in Peru gesagt hatte. »Was soll ich denn tun?«, fragte Romeo.
»Sag ihnen, hier drin ist nichts«, erwiderte Schofield. »Sag ihnen, unten im Eis ist kein Raumschiff begraben. Sag ihnen, es ist lediglich ein altes Geheimprojekt der Air Force, das aus irgendeinem Grund hier zurückgelassen worden ist.«
»Äh, Scarecrow, ich habe keine Information darüber, was in dieser Station ist. Ich weiß nichts über Raumschiffe, die im Eis begraben sind oder über geheime Projekte der Air Force.«
»Nun, darum geht es hier, Romeo. Hör mir zu. Ich habe mit französischen Fallschirmjägern um diese Station gekämpft. Ich habe mit Trevor Barnaby und einem Trupp SAS-Soldaten um diese Station gekämpft. Ich möchte nicht von einer Bande meiner eigenen durchgeknallten Landsleute umgebracht werden nach all dem, was ich durchgemacht habe, verstehst du mich!«
»Bleib mal eine Sekunde dran, Scarecrow.«
Und am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen.
Nach einer Minute sagte Romeo: »Scarecrow, ich habe gerade mit dem Captain der Army Rangers hier draußen gesprochen - ein Typ namens Brookes, Arlin Brookes -, und er hat gesagt, dass er jeden meiner Männer erschießen wird, der versucht, die Station vor der Ankunft des SEAL-Teams zu betreten.«
Schofield zog den Ausdruck von Andrew Trents E-Mail heraus, die Liste der ICGInformanten.
Sein Blick fiel auf den Eintrag:
BROOKES, ARLIN F.A. RNGRS CPTN
Schweinehund, dachte Schofield. Es war derselbe Typ, mit dem er draußen vor dem Tempel in Peru aneinander geraten war. Arlin F. Brookes. ICG-Schwanzlutscher.
»Okay, Scarecrow«, sagte Romeo. »Hör zu. Ich kann vielleicht nicht reinkommen, aber ich sag dir was, das ich vor dreißig Minuten gehört habe. Die Wasp schippert etwa 300 nautische Meilen vor der Küste umher, draußen auf hoher See. Nachdem wir hergekommen sind, habe ich einen Anruf von Jack Walsh auf der Wasp erhalten. Vor etwa dreißig Minuten hat eine Patrouille von vier Marine Harriers etwa 250 nautische Meilen draußen vor der Küste ein britisches VC-10 Tankflugzeug abgeschossen, nachdem der Tanker davon fliegen wollte.«
Schofield schwieg.
Er wusste, worauf Romeo hinaus wollte.
Tankflugzeuge existieren aus einem Grund, und zwar nur aus einem Grund: den Treibstoff eines Angriffsflugzeug auf Langstreckenmissionen nachzufüllen.
Wenn ein britisches Tankflugzeug 250 nautische Meilen vor der Küste abgeschossen worden war, dann konnte man jede Wette darauf eingehen, dass etwas dort draußen war, ein weiteres britisches Flugzeug, ein Angriffsflugzeug - ein Bomber oder ein Kampfjet -, der Treibstoff vom Tanker erhalten hatte. Und er hatte vielleicht den Befehl...
O nein, dachte Schofield, als er begriff. Das war Barnabys Radiergummi.
Wie der Radiergummi des französischen Teams hatte dieser britische Kampfjet vielleicht den Befehl, auf die Eisstation Wilkes zu feuern, falls sich Trevor Barnaby nicht innerhalb einer bestimmten Zeit meldete.
»Man hat die Air Force herbeigerufen«, sagte Romeo. »Sie durchsuchen den Luftraum über dem Ozean mit AWACS-Vögeln und F-22-Kampfjets. Sie suchen nach einem einzelnen britischen Kampfjet und haben Befehl, ihn bei Sichtung abzuschießen.« Schofield fiel in seinen Sessel zurück.
Stirnrunzelnd rieb er sich den Kopf. Die Welt zog sich um ihn herum zusammen.
Er saß in der Falle. Völlig und absolut in der Falle. Die SEAL kämen bald herein - egal ob ihnen klar war, dass es in dieser Station nichts zu gewinnen gäbe, oder nicht. Und selbst wenn es Schofield gelänge, ihnen zu entkommen, nachdem sie die Station erstürmt hatten, blieb immer noch die Möglichkeit, dass Wilkes von einer Luft-Boden-Rakete zerstört würde, den ein vagabundierender britischer Kampfjet vor der Küste abfeuern würde.
Es gab jedoch eine Möglichkeit, dachte Schofield.
Rauszugehen und sich Romeo zu ergeben, ehe die SEAL eintraf. Auf diese Weise würden sie zumindest am Leben bleiben. Und wenn Schofield an diesem ganzen Tag nichts gelernt hatte, eines allerdings hatte er gelernt: wenn man am Leben blieb, hatte man noch immer eine Chance.
Schofield schaltete sein Helmmikrofon an. »Romeo, hör mal...«
»O Scheiße, Scarecrow. Sie sind da.«
»Was?«
»Die SEAL. Sie sind da. Sie haben sie gerade durch den äußeren Kreis gelassen. Vier Hovercrafts. Sie erreichen fetzt den Stationskomplex.«
Einen Kilometer draußen vor der Eisstation Wilkes bildete eine Armada aus Hovercrafts eine lange, ungebrochene Reihe. Sie standen zu einem Halbkreis auf der landeinwärts gerichteten Seite der Station und zeigten allesamt nach innen -zeigten auf die Station.
In diesem Moment jedoch durchbrachen vier marineblaue Hovercrafts die Reihe und glitten über die Eisebene auf die Station zu. Offenbar ohne Eile wanden sie sich durch die äußeren Gebäude des Stationskomplexes.
Es waren die SEAL-Hovercrafts.
Im Leithovercraft schaltete der SEAL-Commander seinen Sprechfunk an. »Air Control, hier ist SEAL-Team, Bericht«, sagte er. »Ich bestätige vorherige Instruktionen. Wir werden die Station nicht betreten, ehe wir nicht sicher sind, dass ihr das feindliche Flugzeug habt.«
»SEAL-Team, hier ist Air Control. Bleibt dran«, sagte eine Stimme über den Funk. »Wir erwarten jeden Moment einen Bericht von unseren Vögeln.«
Genau im gleichen Augenblick, an einem Punkt 242 nautische Meilen von der Eisstation Wilkes entfernt, schössen sechs F-22 USAF-Kampfjets über das südliche Eismeer.
Der F-22 ist der fortschrittlichste, überlegendste Kampfjet der Welt, der Thronfolger des alten F-15 Eagle. Während der F-22 einerseits ein wenig wie der alte F-15 Eagle aussieht, hat der F-22 andererseits jedoch eines, was der F-15 niemals gehabt hat - eine Tarnkappenvorrichtung.
Im Leit-F-22 horchte der Kommandant der Staffel gerade auf seinen Helmsprechfunk. Als die Stimme am anderen Ende zu sprechen aufhörte, sagte der Kommandant: »Danke, Bigbird, ich sehe ihn.«
Auf seinem computergenerierten Display sah der Kommandant einen kleinen Blip, der westwärts flog. Eine Anzeige unter dem Display lautete:
TARGET ACQUIRED: 103 NM WNW
AIRCRAFT DESIGNATED: E-2000
Ein E-2000, bemerkte der Kommandant. Der Eurofighter 2000, ein höchst wendiges kleines Kampfflugzeug mit Zwillingsstriebwerk. Der E-2000 war ein Gemeinschaftsprojekt der Luftwaffen von Großbritannien, Deutschland, Spanien und Italien.
Auf dem Schirm des Kommandanten schien der Blip lässig dahinzufliegen, völlig achtlos der amerikanischen Tarnkappenmaschinen in einhundert Kilometern Entfernung dahinter.
»Also gut, Leute, Ziel ist erkannt«, sagte der F-22-Pilot. »Ich wiederhole, Ziel ist erkannt. Es ist Zeit für ein kleines Tänzchen.«
Shane Schofield innerhalb der Eisstation Wilkes wusste den Teufel, was er tun sollte.
Er wusste, dass er sich den SEAL nicht ergeben konnte. Die SEAL waren höchstwahrscheinlich vom ICG. Wenn sie ihn erwischten, würden sie ihn töten.
Er zog in Betracht, zur Höhle hinunterzutauchen und sich dort zu verstecken - und, falls nötig, das Raumschiff zu kapern -, aber dann wurde ihm klar, dass es inzwischen unmöglich war, zur Höhle hinabzugelangen, da die Taucherglocke zerstört war.
Schofield führte Kirsty und Renshaw aus dem Funkraum auf Deck A und weiter die Sprossenleiter zu den unteren Decks hinab.
»Was geht vor?«, fragte Renshaw.
»Wir sind gerade verarscht worden«, erwiderte Schofield, dessen Gedanken rasten. Ihre einzige Möglichkeit, überlegte er, bestand jetzt darin, sich irgendwo innerhalb der Station zu verbergen und dort auszuharren, bis die SEAL und alle übrigen verschwunden waren...
Und was wirst du dann tun? fragte Schofield sich. Zu Fuß nach Hause gehen?
Wenn du am Leben bleibst, hast du noch immer eine Chance.
Schofield glitt die Sprossenleiter hinab und blickte auf den Tümpel auf Deck E.
Und sah dann etwas.
Er sah Wendy, die auf dem Deck lag und glücklich vor sich hindöste.
Wendy, dachte er.
Etwas an Wendy…
Der F-22-Kommandant sprach in sein Helmmikrofon. »Big-bird, hier ist Blue Leader. Behalten Tarnkappenmodus bei. Schätze, Ziel wird in Raketenreichweite sein in... zwanzig Minuten.«
Urplötzlich hatte Schofield eine Idee.
Er fuhr zu Kirsty herum. »Kirsty, wie lang kann Wendy den Atem anhalten?«
Kirsty zuckte die Achseln. »Die meisten männlichen Pelzrobben können den Atem etwa eine Stunde lang anhalten. Aber Wendy ist ein Mädchen und wesentlich kleiner, also kann sie den Atem nur für etwa vierzig Minuten anhalten.«
»Vierzig Minuten...«, sagte Schofield, während er im Kopf rechnete.
»Woran denken Sie?«, fragte Renshaw.
»Wir benötigen grob geschätzt zwei Stunden, um von der Station zur Höhle zu kommen, stimmt's?«, erwiderte Schofield. »Eine Stunde für den Abstieg in der Taucherglocke bis auf tausend Meter Tiefe, und dann etwa eine weitere Stunde für den Aufstieg durch den Eistunnel.«
»Ja, schon...«, sagte Renshaw.
Schofield wandte sich Renshaw zu. »Als Gant und die anderen sich der Eishöhle genähert hatten, hat Gant etwas sehr Seltsames gesagt. Sie hat gesagt, sie hätten einen Besucher. Wendy. Gant hat gesagt, dass Wendy mit ihnen geschwommen ist, als sie den Eistunnel hinauf sind.« »M-hm.«
»Also«, fuhr Schofield fort, »selbst wenn Wendy doppelt so schnell schwimmen kann wie wir, so wäre ihr, wenn sie den ganzen Weg hinab- und dann den ganzen Weg den Eistunnel hinaufgeschwommen wäre, die Luft ausgegangen, ehe sie die Höhle erreicht hätte.«
Renshaw schwieg.
»Ich meine«, sagte Schofield, »es wäre Selbstmord für sie, nicht umzukehren, nachdem sie zwanzig Minuten geschwommen ist, denn sie müsste wissen, dass sie wieder eine Luftquelle erreichte...«
Schofield sah von Renshaw zu Kirsty.
»Es gibt einen anderen Weg in diesen Eistunnel«, sagte er.
»Eine Abkürzung.«
»SEAL-Team, hier ist Blue Leader. Wir nähern uns dem Zielobjekt. Erfasstes Objekt wird in fünfzehn Minuten in Raketenreichweite sein«, sagte die Stimme des Staffelkommandanten über den Funk im Hovercraft des SEAL-Teams.
Die SEALs saßen starr auf ihren Plätzen in der Kabine ihres Hovercrafts. Keine Spur eines Gefühls glitt ihnen über das Gesicht.
Unten auf Deck E warf Schofield jetzt die Kreislauftauchgeräte aufs Deck. Kirsty streifte sich bereits einen thermoelektrischen Kälteschutzanzug über. Dieser war ihr dermaßen hoffnungslos zu groß, dass sie Ärmel und Hosenbeine hochkrempeln musste, damit er passte. Renshaw - bereits in seinem Neoprenanzug - ging geradewegs zu der LABAAusrüstung.
»Hier, schluckt die«, sagte Schofield, während er jedem von ihnen eine blaue Kapsel reichte. Es waren die N-67D Anti-Stickstoffkapsein. Eben jene Pillen, die Schofield Gant und den anderen verabreicht hatte, als sie zur Höhle hinabgetaucht waren. Alle schluckten rasch die Pillen.
Schofield legte seinen Drillich ab und zog sich wieder den Körperschutz und den Patronengurt über seinen Kälteschutzanzug. Als er die Taschen seines Drillichs durchsuchte, fand er unter anderem eine Stickstoffgranate und Sarah Hensleighs silbernes Medaillon. Schofield steckte beide Sachen in die Taschen seines Kälteschutzanzugs. Daraufhin legte er rasch eines der Atemgeräte an.
Alles in allem gab es drei Geräte, und alle waren gefüllt mit einer gesättigten Helium- Sauerstoff-Mischung, die für vier Stunden reichen würde: 98 % Helium, 2 % Sauerstoff. Es waren die Reservetanks, die Schofield von Gant hatte vorbereiten lassen, ehe sie in die Höhle hinabgetaucht war. Nachdem er seine eigene LABA-Ausrüstung übergestreift hatte, half Renshaw Kirsty in die ihre.
Schofield hatte seine Ausrüstung als erster auf. Als er fertig war, durchsuchte er sogleich das Deck ringsumher nach etwas Schwerem - etwas sehr Schwerem -, da sie ein schweres Gewicht benötigen würden, das sie rasch nach unten brächte.
Er fand, wonach er suchte.
Ein Stück des Laufstegs von Deck B war auf Deck E herabgestürzt, als das ganze Deck B vor einiger Zeit in Flammen aufgegangen war. Das Stück Laufsteg war etwa drei Meter lang und bestand aus solidem Stahl. Es war sogar noch ein Stück des Geländers daran.
Als Renshaw auch fertig war, half er Schofield dabei, das Stück zum Rand des Tümpels zu ziehen. Das große Stück Metall quietschte laut, als sie es über das Deck zogen.
Während sie an der Arbeit waren, hüpfte Wendy neben ihnen auf und nieder wie ein Hund, der um einen Spaziergang bettelte.
»Wird Wendy mitkommen?«, fragte Kirsty.
»Ich hoffe es«, entgegnete Schofield. »Ich habe gehofft, dass sie uns den Weg zeigt.«
Bei diesen Worten sprang Kirsty auf und eilte zu der Wand neben dem Tümpel hinüber. Sie schnappte sich einen Gurt von einem Haken und brachte ihn zum Rand des Tümpels zurück. Daraufhin legte sie Wendy den Gurt um die Körpermitte.
»Was ist das?«, fragte Schofield.
»Keine Sorge. Es wird helfen.«
»Na schön. Bleib nur nahe bei mir«, sagte Schofield, als er und Renshaw das Stück Laufsteg so am Rand des Decks absetzten, dass es fast davon herabfiel.
»Na gut«, sagte Schofield. »Alle ins Wasser.«
Alle drei sprangen ins Wasser und schwammen unter das Stück Laufsteg. Wendy sprang ihnen fröhlich nach.
»Also schön, haltet euch am Laufsteg fest«, sagte Schofields Stimme über ihren Unterwassersprechfunk.
Alle packten den Laufsteg. Sie sahen aus wie Olympiaschwimmer, die sich für ein Rennen im Rückenschwimmen fertig machten.
Schofield legte seine Hand über Kirstys Hand, um sicherzustellen, dass sie nicht den Halt am Laufsteg verlor, wenn er durch das Wasser fiel.
»Okay, Mr. Renshaw«, sagte Schofield. »Ziehen!«
In diesem Augenblick stemmten sich Schofield und Renshaw gegen den Laufsteg und jäh kippte das schwere Stück Laufsteg über den Rand des Decks und fiel mit einem gewaltigen Klatscher ins Wasser.
Der metallene Laufsteg sank schnell durchs Wasser.
Die drei kleinen Gestalten von Schofield, Renshaw und Kirsty klammerten sich grimmig daran, während er fiel. Alle zeigten sie nach unten, so dass ihre Füße über ihnen paddelten. Wendy schwamm rasch hinter ihnen durch das Wasser hinab.
Schofield sah auf den Tiefenmesser an seinem Handgelenk.
Drei Meter.
Sieben Meter.
Zehn Meter.
Rasch fielen sie hinunter durch die großartige weiße Unterwasserwelt.
Während sie fielen, versuchte Schofield, ein Auge auf die weiße Eiswand links von sich zu halten. Er suchte ein Loch darin, suchte nach dem Eingang zu dem Abkürzungstunnel, der zu dem Unterwassereistunnel führte.
Sie erreichten dreiunddreißig Meter. Ohne die Pillen hätte sie der Stickstoff in ihrem Blut längst umgebracht.
Fünfundsechzig Meter.
Einhundert Meter.
Sie flogen abwärts durch das Wasser. Es wurde dunkler, es fiel schwerer, etwas zu erkennen.
Einhundertdreißig Meter, zweihundert Meter.
Zweihundertfünf...
Und dann sah ihn Schofield plötzlich.
»Also gut, loslassen!«, schrie er.
Sogleich ließen die anderen den stürzenden metallenen Laufsteg los. Sie schwebten im Wasser, während der Laufsteg in der Dunkelheit unter ihnen verschwand.
Schofield schwamm zu der Eiswand hinüber.
Ein großes rundes Loch war darin eingegraben. Es sah aus wie irgendeine Art von Tunnel, ein Tunnel, der in die tintenschwarze Düsternis verschwand.
Schofield zögerte.
Renshaw musste den Zweifel in seinen Augen erkannt haben. »Welche Alternative bleibt uns?«, fragte er.
»Stimmt«, meinte Schofield und zog seine Taschenlampe heraus. Er schaltete sie ein. Daraufhin trat er mit den Füßen aus und schwamm in den Tunnel hinein.
Der Tunnel war schmal, und er mäanderte steil nach unten.
Schofield schwamm an der Spitze mit Kirsty hinter sich. Renshaw bildete die Nachhut. Da sie abwärts schwammen, kamen sie rasch voran. Sie ließen sich einfach von den Bleigewichten an ihren Gürteln hinabziehen.
Schofield schwamm vorsichtig. Es war ruhig, wie in einem Grab...
Und dann schnellte Wendy von hinten an ihm vorüber und schoss den Tunnel vor ihm hinab.
Schofield blickte auf seinen Tiefenmesser.
Sie hatten dreihundertdreißig Meter erreicht.
Die Tauchzeit war zwölf Minuten.
»Bigbird, hier ist Blue Leader. Ziel ist jetzt in Raketenentfernung. Ich wiederhole, Ziel ist jetzt in Raketenentfernung. Bereite mich vor, AMRAAM-Raketen abzufeuern.«
»Sie können feuern, wenn Sie bereit sind, Blue Leader.«
»Vielen Dank, Bigbird. Also gut, Leute. Rakete hat Ziel erfasst. Raketenschacht ist offen. Ziel weiß anscheinend nichts von unserer Anwesenheit. Okay. Hier ist Blue Leader, Fox One... feuern!«
Der Staffelkommandant drückte seinen Abzug.
In gleichem Augenblick glitt eine lange, schlanke AIM-120 AMRAAM-Rakete aus dem Schacht der F-22 und schoss hinter ihrem Opfer her.
Der britische Fighter sah die Rakete sofort auf seinen Fluginformationsbildschirmen.
Das größte Problem bei einem Tarnkappenflugzeug besteht darin, dass, obwohl das Flugzeug selbst auf dem Radarschirm unsichtbar ist, jede Rakete, die von seinen Tragflächen herabhängt, nicht unsichtbar ist. Deswegen tragen alle Tarnkappenflugzeuge wie der F-22, der F-117A Tarnkappenfighter sowie der B-2A Tarnkappenbomber ihre Raketen in ihrem Inneren.
Unglücklicherweise jedoch sieht man eine Rakete sofort auf dem Radarschirm, sobald sie abgefeuert wird. Was bedeutete, dass in dem Augenblick, da der F-22 seine AMRAAMRakete auf den E-2000 über dem Horizont abfeuerte, das britische Flugzeug die Rakete auf seinen Bildschirmen sah.
Der britische Pilot gab sich bestenfalls eine Minute.
»General Barnaby! General Barnaby! Bericht!«
Es folgte keine Antwort.
Was merkwürdig war, da Brigadier-General Barnaby wusste, dass diese Zeit - 22.00 Uhr bis 22.25 Uhr - die vorbestimmte Zeit der Kontaktaufnahme sein sollte, zu einem von zwei Zeitpunkten, da eine Lücke im Flare eine Funkverbindung ermöglichen würde. Barnaby hatte um 19.30 Uhr Bericht erstattet, zu einer weiteren vorbestimmten Kontaktzeit, genau nach Plan. Der britische Pilot versuchte eine Sekundärfrequenz. Noch immer kein Glück. Er versuchte, Nero anzufunken, Barnabys stellvertretenden Kommandanten.
Immer noch kein Glück.
»General Barnaby! Hier ist Backstop. Ich werde angegriffen! Ich wiederhole, ich werde angegriffen! Wenn Sie in den nächsten dreißig Sekunden keine Antwort geben, werde ich zur Annahme gezwungen sein, dass Sie tot sind, und Ihren Befehlen folgend wird mir keine andere Wahl bleiben, als auf die Station zu feuern.«
Der britische Pilot sah auf seinen Annunciator Panel - die Kontrolllampe blinkte. Er hatte bereits die Koordinaten der Eisstation Wilkes in den Steuercomputer seiner AGM- 88/ HLN Cruise Missile eingegeben.
Die Kennung auf der Rakete besagte alles.
»AGM« stand für »air-to-ground«-, also »Luft-Boden«; »H« für »high speed«, »Hochgeschwindigkeit« und »L« für »long ränge«, »Langstrecke«. »N« jedoch hatte eine spezielle Bedeutung.
Es stand für nuklear.
Dreißig Sekunden verstrichen. Noch immer kein Wort von Barnaby.
»General Barnaby! Hier ist Backstop! Ich schieße den Radiergummi ab... fetzt!« Der britische Pilote drückte den Abzug und den Bruchteil einer Sekunde später schoss die Cruise Missile mit dem Atomsprengkopf, die am Ende seines Flügels angebracht war, von seinem Flugzeug davon.
Die Rakete kam nur knapp davon, denn kaum zwei Sekunden später - gerade als der britische Pilot nach dem Knopf zum Betätigen des Schleudersitzes griff - schlug die amerikanische AMRAAM-Rakete ins Heck des E-2000 ein und blies den Fighter und seinen Piloten vom Himmel.
Die amerikanischen Piloten sahen die helle orangefarbene Explosion am nächtlichen Horizont, sahen den Blip auf ihren Schirmen verschwinden.
Einige von ihnen brachen in Hochrufe aus.
Der Staffelkommandant lächelte beim Anblick des orangefarbenen Feuerballs am Horizont. »SEAL-Team, hier ist Blue Leader. Das feindliche Flugzeug ist eliminiert. Ich wiederhole, das feindliche Flugzeug ist eliminiert. Ihr könnt die Station jetzt betreten. Ihr könnt die Station jetzt betreten.«
Im SEAL-Hovercraft hallte die Stimme des Staffelkommandanten über die Lautsprecher: »Ihr könnt die Station jetzt betreten. Ihr könnte die Station jetzt betreten.«
»Vielen Dank, Blue Leader«, sagte der SEAL-Kommandant. »Alle Einheiten, habt acht! SEAL-Team schaltet auf internen Kanal zum Angriff auf die Station um.«
Er schaltete seinen Sprechfunk ab und wandte sich seinen Männern zu.
»Also gut, Leute. Dann mischen wir mal jemanden auf.«
Draußen über dem südlichen Eismeer blickte der F-22-Staffel-kommandant weiterhin durch sein Cockpit auf die Überreste des britischen E-2000 hinaus. Dünne orangefarbene Feuerspuren fielen langsam zur Erde hinab, wie billiges Feuerwerk.
Gebannt, wie er von diesem Anblick war, entging dem Staffelkommandanten das Auftauchen eines neuen, kleineren Blips auf seinem Radarschirm - ein Blip, der nach Süden schoss, auf die Antarktis zu. Erst dreißig Sekunden später bemerkte er ihn.
»Was zum Teufel ist das?«, fragte er.
»O Gott«, sagte jemand anderer. »Es muss ihm gelungen sein, eine Rakete abzufeuern, ehe er getroffen wurde!«
Der Staffelkommandant versuchte, das SEAL-Team wieder anzufunken, aber diesmal kam er nicht durch. Sie hatten bereits auf den internen Kanal für ihren Angriff auf die Eisstation Wilkes geschaltet.
Die Türen des Haupteingangs zur Station explodierten nach innen und das SEAL-Team stürmte wild um sich feuernd herein.
Es war ein Sturm wie im Lehrbuch. Das einzige Problem bestand darin, dass die Station verlassen war.
Schofield blickte auf seinen Tiefenmesser: 500 Meter.
Er schwamm weiter und wenige Minuten später kam er aus dem schmalen Abkürzungstunnel und fand sich in einem breiteren Tunnel mit Eiswänden wieder.
Schofield wusste sogleich, wo er war, obgleich er hier noch nie zuvor gewesen war.
Auf der anderen Seite des Unterwassertunnels erblickte er eine Reihe runder Löcher von drei Metern Durchmesser, die in die Tunnelwände geschnitten waren. Sarah Hensleigh hatte ihm zuvor davon erzählt. Und Gant hatte sie auch erwähnt, als sie zur Höhle hinaufstieg. Die Höhlen der Seeelefanten. Er befand sich in dem Unterwassereistunnel, der zur Höhle des Raumschiffs emporführte.
Schofield stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Ja!
Schofield und die anderen schwammen in den Unterwassereistunnel hinaus. Dann schwammen sie rasch aufwärts, wobei sie die Löcher in den Eiswänden rings umher mit mehr als nur ein wenig Beklommenheit beobachteten.
Obwohl er sich beim Anblick der Löcher in den Wänden unbehaglich fühlte, war Schofield sich ziemlich sicher, dass die Seeelefanten sie nicht angreifen würden. Dazu hatte er eine Theorie entwickelt. Bislang war die einzige Gruppe, die sich der Unterwassereishöhle unversehrt hatte nähern können, Gants Gruppe gewesen - und sie hatten alle LABA-Geräte getragen, Kreislaufatemgeräte. Bei den anderen Gruppen, die hinabgetaucht waren - die Wissenschaftler von Wilkes und die Briten -, war das nicht der Fall gewesen. Und sie waren angegriffen worden. Schofield stellte sich also vor, dass die Seeelefanten Gant und ihr Team nicht hören konnten, als diese sich der Höhle näherten. Und daher waren sie nicht angegriffen worden.
In diesem Augenblick entdeckte Schofield die Oberfläche und seine Überlegungen waren vergessen.
Er sah auf seinen Tiefenmesser. 510 Meter.
Daraufhin sah er auf seine Uhr. Es hatte achtzehn Minuten gedauert, hierhin zu gelangen. Wirklich sehr schnell.
Und dann schnitt plötzlich ein leises Pfeifen durch das Wasser.
Schofield hörte es und spannte sich an. Er sah Kirsty, die neben ihm Wendy im Wasser festhielt. Wendy hatte es ebenfalls gespürt.
Plötzlich antwortete ein zweites Pfeifen dem ersten, und Schofield spürte, wie ihm das Herz in die Hose sank.
Die Seehunde wussten, dass sie hier waren...
»Los!«, sagte Schofield zu Renshaw und Kirsty. »Los!«
Schofield und Renshaw schwammen mit raschen Zügen auf die Oberfläche zu. Kirsty schlug Wendy einfach auf die Flanke, und Wendy schoss durch das Wasser voran.
Schofield blickte die Oberfläche über sich an. Sie wirkte wunderschön, wie Glas, ruhig. Wie eine glatte Linse.
Die Pfeiftöne rings um sie her wurden intensiver und dann vernahm Schofield plötzlich ein heiseres Gebell, das durch das Unterwasserspektrum schnitt. Schofield fuhr im Wasser herum, schaute sich um, dann blickte er wieder zu der linsen-gleichen Wasseroberfläche auf.
Und in diesem Augenblick zerbrach die Linse.
Von allen Seiten sprangen Seeelefanten ins Wasser. Andere kamen brüllend aus den Löchern in den Wänden und verfolgten Schofield und die anderen. Ihre Schreie, ihr Gebell und ihr Pfeifen erfüllten das Wasser.
Wendy raste mit Kirsty, die sich an ihren Gurt klammerte, zur Oberfläche. Es war wie eine Fahrt mit einer Achterbahn, als Wendy sich duckte, dahinschlängelte, zur Seite abkippte und abdrehte, um den zubeißenden Zähnen der Seeelefanten zu entgehen, die sie und Kirsty von allen Seiten angriffen.
Und dann entdeckte Wendy plötzlich eine Lücke und erhaschte einen Blick auf die Oberfläche. Zusammen mit Kirsty, die sich immer noch an ihren Gurt klammerte, jagte sie darauf zu.
Von allen Seiten stürzten sich Seeelefanten auf sie und schnappten nach ihnen, aber Wendy war zu flink. Sie erreichte die Oberfläche und explodierte förmlich aus dem Wasser.
Kirsty prallte hart auf den festen Eisboden der Höhle. Sie schaute hoch und sah, wie Wendy sich rasch vom Rand des Tümpels entfernte. Kirsty sprang auf die Füße, gerade als der Boden hiner ihr zitterte.
Kirsty wandte sich um. Einer der Seeelefanten hatte sich hinter ihr aus dem Wasser geworfen und sprang jetzt über den flachen Boden der Höhle hinter ihr her!
Kirsty lief los, stolperte und fiel.
Der Seeelefant stürzte weiter auf sie zu. Kirsty lag völlig ungeschützt auf dem Boden der Höhle...
... und dann, plötzlich, bumm!, - explodierte das Gesicht des Seeelefanten in einem Meer aus Blut, und die große Robbe fiel kopfüber zu Boden.
Der Seeelefant fiel zu Boden, und hinter ihm sah sie Schofield, der in zehn Metern Entfernung im Tümpel schwebte und die Pistole ausgestreckt vor sich hielt. Er hatte die Robbe geradewegs durch den Hinterkopf geschossen. Kirsty wurde fast ohnmächtig.
Auf der anderen Seite des Tümpels durchbrach Renshaw die Oberfläche und fand sich direkt am Rand wieder. Da verspürte er urplötzlich einen scharfen Schmerz im rechten Fußknöchel, und er wurde, schwupp! unter Wasser gerissen.
Dort schaute Renshaw hinunter und sah, dass einer der Seeelefanten das Maul um seinen rechten Fuß geschlossen hatte. Diese Robbe wirkte kleiner als die übrigen und sie hatte diese merkwürdigen unteren Fänge, die er bereits bei den großen Männchen gesehen hatte.
Mit dem freien Fuß trat Renshaw der kleinen Robbe auf die Schnauze. Die Robbe quietschte vor Schmerz, ließ ihn los, und Renshaw schwamm wieder zur Oberfläche hoch.
Renshaw schoss aus dem Wasser und sah den Rand des Tümpels gleich vor sich. Dann packte er den nächsten Felsbrocken und zog sich aus dem Wasser, gerade als eine weitere, größere Robbe durch das Wasser hinter ihm sauste und ihm um Haaresbreite den Fuß sauber abgebissen hätte.
Schofield schwamm wie wahnsinnig zum Rand des Tümpels.
Beim Schwimmen erhaschte er flüchtige Blicke auf die Höhle rings um ihn her - Kirsty drüben auf der einen Seite des Tümpels, Renshaw drüben auf der anderen Seite. Dann sah er das Schiff, das große schwarze Schiff, das wie ein gewaltiger, schweigender Raubvogel inmitten der massigen unterirdischen Höhle stand.
Und dann stieg plötzlich das offene Maul des großen Bullen vor ihm aus dem Wasser und versperrte ihm den Blick auf das große schwarze Schiff.
Die große Robbe bewegte sich bereits sehr rasch und pflügte geradezu mit phänomenaler Geschwindigkeit in Schofield hinein, und Schofield keuchte, als er spürte, wie es ihm die Luft aus den Lungen trieb, und er ging unter.
Der Bulle hatte ihm die langen unteren Fänge in die Brust gerammt. Normalerweise, vermutete Schofield, hätte das ausgereicht, jedes mögliche Opfer zu töten, da die Fänge der großen Robbe dem Opfer die Brust durchstoßen hätten.
Aber nicht so bei Schofield. Er trug noch immer seinen Körperschutz über seinem Kälteschutzanzug, und die Fänge des Bullen waren in seiner Kevlarbrustplatte steckengeblieben.
Der Seeelefant drückte ihn gegen die Brust und trieb ihn ins Wasser hinab. Schofield kämpfte, doch es hatte keinen Zweck. Dank seiner Brustplatte war er praktisch auf den Fängen des großen Tiers aufgepfählt.
Immer weiter hinab ging Schofield am Ende der Nase der riesenhaften Robbe. Blasen schössen aus dem schwer arbeitenden Maul des großen Tiers, als es in seinen Anstrengungen große Mengen Luft ausstieß.